Funktion (functio - Verrichtung) wird oft als Gegenpol zu 'Struktur', dem Gegenstand der Morphologie gesehen (structura - Bau, Gefüge; morphe: Form, Gestalt), doch handelt es sich um zwei Seiten derselben Münze.
Physiologie setzt sich damit auseinander, wie das 'Gesunde' funktioniert und wie der Übergang zum 'Abnormen', 'Ungesunden', Pathologischen zu deuten ist.
Das funktionelle Zusammenspiel mehrerer, gemeinsam agierender Teile lässt neue, zum Teil überraschende Muster entstehen (Emergenz). Die Tendenz, in der Medizin zu gesamtheitlichen Betrachtungen und Handlungen zurückzukehren, entspricht einer zunehmend empfundenen Notwendigkeit. Integrativ verstandene Physiologie trägt dazu bei, indem sie Verständnis und Entscheidungshilfe anbietet für explorative, diagnostische, präventive und therapeutische Alternativen.
Leben ist hochkomplex; schon die Minimalanforderungen an die notwendige Komplexität eines Einzelorganismus erfordern eine Struktur von der Mindestgrösse einer Zelle; eine Zellorganelle ist für sich allein nicht lebensfähig.
'Leben' muss für
seine Elemente (Organismen) eine Mindestzahl von Eigenschaften aufweisen,
wie Evolution, Lern- und Anpassungsfähigkeit, Reproduktionsvermögen, Kommunikation, Stoffwechsel und Kompartimentierung.
Jede Zelle, jeder Organismus bedarf eines geeigneten Umfeldes, das viele andere Lebewesen enthält (Population, Biom, Biosphäre) und seinerseits entsprechende physikalische, chemische, kosmische Randbedingungen bietet (Atmo-, Hydro-, Geosphäre, Sonnensystem etc.).
Ein System (systema - Zusammengestelltes, Ganzes) zeichnet sich durch eine geordnete Gesamtheit von Objekten aus. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Systembegriffe, abhängig vom Kontext.
Physiologische Systeme bedürfen der Interaktion der sie aufbauenden Teile (Subsysteme). Deren Zustand kann anhand bestimmter, zeitabhängiger Zustandsvariablen (wie z.B. Köpergewicht, Blutdruck, Blutzuckerspiegel) abgeschätzt werden (medizinische Diagnostik).
Die Grösse solcher Zustandsvariablen weist eine bestimmte Verteilung auf. Handelt es sich um eine Referenzpopulation, gibt die Verteilung einen Hinweis auf die Grenzen des Referenzbereichs ('Normalbereichs').
Bei solchen biometrischen Betrachtungen stellen sich einige Fragen: Ist der Verteilungsschwerpunkt auch als 'ideal' einzustufen? Wie repräsentativ für die Gesamtpopulation waren die gewählten Stichproben? Wo hört 'Gesundes' auf, wo fängt 'Abnormes' an? Welcher Teil des Streubereichs ist indikativ für Krankheit?
Eine moderne Definition von Gesundheit sollte den Prozess statt des Ergebnisses erfassen. Eine grosse genetische und phänotypische Bandbreite kann Adaptationsfähigkeit und Überlebenschancen einer Spezies erhöhen. Veränderte Rahmenbedingungen werden dann durch Inanspruchnahme 'alternativer' Eigenschaften und Fähigkeiten kompensiert.
Ein Beispiel: die Neigung zu Energiespeicherung im Körper kann in Zeiten alimentären Überflusses zu Adipositas, in Hungerzeiten jedoch zu Verlängerung der Überlebensdauer fuehren. Die einseitige Ausrichtung auf individuelles 'Gesundsein' und 'richtigem' Lebensstil greift zu kurz, wenn der Gesundheits- und Krankheitsbegriff relativ zu den Begleitbedingungen bewertet werden. Auch ist die Frage zu sehen, was über das Wohlbefinden der einzelnen Person hinaus für die Intaktheit der Funktionen von Lebensgemeinschaft, Gesellschaft, Spezies, Biosphäre gut, nützlich und notwendig ist, und manchmal sind unterschiedliche Anforderungen (wie begrenzte Ressourcen) gegeneinander abzuwägen.