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<Abbildung aus: Praktische Physiologie


Physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft


Der Körper der Schwangeren unterliegt zahlreichen physiologischen Veränderungen:

Östrogene und Progesteron bewirken die Umstellungen des mütterlichen Organismus während der Schwangerschaft: Der Uterus nimmt an Gewicht und Größe enorm zu (von 60 -80 auf 1000-1500 g), das Myometrium hypertrophiert, die Durchblutung steigt etwa 10fach an. Die Cervix, die zu 90% aus Bindegewebe besteht, bildet einen Schwellkörper aus Gefäßen, der den Brutraum gegen die Vagina abschließt und beim Geburtsvorgang durch den tiefertretenden Kopf des Kindes geleert wird (Öffnung des Muttermundes). Außerdem organisieren sich die Kollagenfasern in aufgelockerter Weise um (prostaglandinbedingte "Zervixreifung"). Die Vagina wird weicher, samtartig, zeigt Bindegewebs- und Muskelwachstum, der zytologische Abstrich ändert seine Charakteristika, die Venen weiten sich, die stark vaskularisierte und durchblutete Scheide färbt sich bläulich (Chadwick-Zeichen), es können Krampfadern entstehen.

Hämodynamik: Schon früh in der Schwangerschaft nimmt der Tonus der glatten Gefäßmuskulatur ab (Progesteron!) und damit der periphere Gefäßwiderstand. Der mittlere arterielle Blutdruck sinkt bis zur Schwangerschaftsmitte um ca. 2kPa ab, der systolische Druck bleibt (physiologischerweise) ziemlich unverändert. In den ersten ≈27 Wochen nimmt die Ruhe-Herzfrequenz um ca. 15 Schläge/Minute, das Ruhe-Schlagvolumen um ca. 10 ml, das Herzzeitvolumen um 30-50% zu und bleibt dann bis zur Geburt (ceteris paribus) gleich. Durch den wachsenden Uterus werden die Beckenvenen komprimiert, sodaß der Venendruck in den Beinen ansteigen kann (im Liegen bis 25 mmHg) und eine Neigung zu Varizen, Ödemen und Hämorrhoiden auftritt. Auch kann die untere Hohlvene komprimiert werden (in Rückenlage! Vena-cava-Kompressionssyndrom), wodurch bei der Mutter schockartige Symptome und bei der fetoplazentaren Einheit Durchblutungsstörungen auftreten.

Sauerstoffverbrauch und CO2-Produktion steigen bis zum Ende der Schwangerschaft um etwa 20% an, die Atmung vertieft sich um 40% (Atemfrequenz bleibt unverändert). Wahrscheinlich durch den hohen Progesteronspiegel bedingt wird die CO2-Empfindlichkeit des Atemzentrums gesteigert, und die alveoläre Ventilation nimmt überproportional zu. Die Folge ist eine leichte Zunahme des arteriellen pO2 und eine Abnahme des arteriellen pCO2 auf 4-5 kPa (28-36 mmHg), was den diffusiblen Gasaustausch mit dem Fetus begünstigt. Gegen Ende der Schwangerschaft wird die Atmung vor allem durch den zunehmenden Zwerchfellhochstand erschwert, die Vitalkapazität nimmt einige Wochen vor dem Termin ab, bei jeder zweiten Schwangeren tritt Dyspnoe auf.

Das effektiv zirkulierende Blutvolumen sinkt durch die Vasodilatation, kompensativ steigt das Plasmavolumen (um 40%, bedingt durch Hormone wie Renin und Aldosteron), auch die Menge an roten Blutkörperchen (um 20%). Hämatokrit- und Hämoglobinwerte sinken aufgrund dieses Musters deutlich ab ('Schwangerschaftsanämie', unterer physiologischer Hämoglobin-Grenzwert in der Schwangerschaft 11 g/l - keine wirkliche Blutarmut, Blutvolumen steigt um ein Drittel!). Es kommt zu Leukozytose (bis 15.000, im Wochenbett bis 20.000 /ul), Abfall der Plasmaproteine, erhöhte Gerinnungsbereitschaft des Blutes (Verdopplung des Fibrinogenwerts von 3g/l auf 6g/l sowie andere Faktoren) und verminderte gerinnungshemmende / fibrinolytische Aktivität, was zusammen mit verlangsamter Mikroziekulation zu einem 5-fach gesteigerten Thromboseririko führt), Zunahme der Blutfette, Erhöhung der Blutsenkung bis 30 / 60 mm. All diese Veränderungen sind als physiologisch zu betrachten.

In den Nieren macht sich die Abnahme des Hämatokrit (bessere Fließfähigkeit) und der Konzentration der Plasmaproteine (niedrigerer kolloidosmotischer Effekt) kombiniert mit dem erhöhten Herzzeitvolumen durch vermehrte glomeruläre Filtration bemerkbar: diese nimmt bis zur 32. Woche um 50% zu, die Harnmenge steigt zusammen mit der  Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen (Harnstoff, Kreatinin, Harnsäure), es resultiert vermehrter Harndrang und Pollakisurie. Daneben werden auch vermehrt Glukose (0,1 g/24h oder mehr), Aminosäuren und Proteine (bis zu 2 g/24h) ausgeschieden. Die Anwesenheit dieser Stoffe im Urin erhöht die Infektionsgefahr in den Harnwegen, dazu kommt der Tonusverlust der Muskelzellen im Harnleiter (Gefahr der Nierenbeckenentzündung: pyelitis gravidarum). Auch die  Natrium-Clearance steigt, was das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System anregt (Aldosteronspiegel bis 5-fach gesteigert!), gegen Ende der Schwangerschaft zu Salz-Wasser-Retention führt und das Auftreten von Ödemen begünstigt. Bluthochdruck und Krampfneigung können auftreten und akute Komplikationen ergeben (Schwangerschaftsgestose).

Im Verdauungssystem zeigt sich durch Tonusverlust der Muskulatur eine Neigung zu Obstipation; die Speichelsekretion ist angeregt. Die Insulinempfindlichkeit der Gewebe ist herabgesetzt (Hormone wie HPL?), Glukose wird weniger aufgenommen, das steigert den Blutzuckerspiegel (und erleichtert die Glukose-Aufnahme des Feten). Die Mutter erhöht daraufhin die Insulinproduktion, es kann bei entsprechender diabetogener Stoffwechsellage zu Gestationsdiabetes kommen.

Die Haut neigt zu vermehrter Pigmenteinlagerung (Anregung der Melanocyten >> MSH-Produkton >> Pigmentierung von Brustwarzen, Vulva- und Analbereich, Mittellinie oberhalb und unterhalb des Nabels (linea fusca), braune schmetterlingsähnliche Färbung des Gesichts (chloasma uterinum); die Schweißsekretion nimmt zu, die Haut ist besser durchblutet (warme Hände). Das Bindegewebe neigt zu Einrissen an Brust, Bauchdecken, Gesäß und Oberschenkeln: Striae gravidarum - vor der Geburt blau, dann weisslich (regelmäßige Massage als Prophylaxe!).

Am Ende der Schwangerschaft hat das Körpergewicht im Durchschnitt um 10-12 kg zugenommen. Als Faustregel kann gelten: Kind 3.5 kg; Placenta 0.5 kg; Fruchtwasser ca. 1 kg; Uterus 1 kg; Brüste 0.5-1 kg; Blut 1 kg; Interstitium 3-4 kg.

© Helmut Hinghofer-Szalkay